Ich bin fast ein bisschen süchtig, nach Bastel- und Beschäftigungsbüchern, die älter sind als ich oder sogar hundert und mehr Jahre alt. Aber ich liebe und schreibe ja auch Erinnerungsgeschichten 😊und freue mich darüber, dass es Kontinuitäten in der Welt gibt. Hier sind noch einige Beispiele, die mir begegnet sind.

„Illustriertes Spielbuch für Mädchen“ von Marie Leske (1865/1914)

Ok, hier habe ich bei der Jahreszahl etwas gepfuscht, meine Ausgabe ist von 1914, aber die erste Ausgabe stammt tatsächlich von 1865, das Vorwort der Verfasserin – ja, tatsächlich steht dort „Verfasserin“ und nicht „Verfasser“, die Spamersche Buchdruckerei war weiter als manche Menschen heute 😊 – stammt von 1864 und im Wikipedia-Eintrag über Marie Leske wird ebenfalls 1865 als Erscheinungsjahr angegeben. In dem Buch wird nicht deutlich, welche Auflage meine Ausgabe ist, aber das ergänzende Vorwort von 1907 leitete die 21. Auflage ein.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis und die Lektüre des Vorworts lassen vermuten, dass es bei diesem Buch nicht nur um Freizeitbeschäftigung ging, sondern Mädchen ganz nebenbei an ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter herangeführt werden sollten. So werden im ersten Kapitel die traditionellen Handarbeiten Flechten, Stricken, Spinnen, Sticken, Knüpfen und Häkeln vorgestellt, dann folgen Puppenspiele und es gibt auch ein Kapitel für „Die kleine Köchin“. Da ist fast erstaunlich, dass sich ein Kapitel auch mit physikalischen Spielen beschäftigt. Aber das Buch besteht auch sonst nicht nur aus rollenspezifischen Spielen, hier finden sie Spiele für drinnen und draußen, Rätsel, Scherze, Rechenrätsel, Vexierbilder, die übrigens auch heutige Betrachter noch herausfordert. Für diesen Beitrag relevant ist das Kapitel „Allerlei Spiele mit Papier, Hölzchen und Faden“, in dem gefaltete Pfeile, Mützen, Schiffchen und der heute kaum noch bekannte Blasebalg und Faltschnitte, aus denen sich eine Stadt gestalten lässt, vorgestellt werden. Was ich – unabhängig vom Falten – interessant finde, ist ein tangramähnliches Spiel aus Papier, bei dem die Teile eines zerschnittenen Kreuzes zu neuen Mustern gelegt werden müssen.

„Was tue ich in meiner freien Zeit?“ von Nelly Wolffheim (1913)

Dieses „Beschäftigungsbuch für Kinder von 6 – 14 Jahren“ der Kindergärtnerin Nelly Wolffheim enthält neben einem Vorwort für Eltern und einer Einleitung für Kinder ganz unterschiedliche Anregungen, sich kreativ zu beschäftigen wie Spielzeug, zum Beispiel Soldaten, Tischkreisel Puppen, aus Paketknebeln, die ich bisher nicht kannte oder Puppenstubenmöbel, Eisenbahnzug, Dorfhäuschen aus Streichholzschachteln. Es werden Aktionen mit Ton, Pappe, Bast, Eierschalen, Kastanien und – 😊 mein Favorit: Schokoladentalerrollen, die zu einem Hutnadelständer werden – vorgestellt.

Papierarbeiten tauchen nicht explizit aus, aber Ausschneide- und Papparbeiten und in den verschiedenen Kapiteln wird immer auch Papier als Grundstoff verwendet. Wirklich putzig finde ich Möbel aus Papier, die an ein Potemkinsches Dorf, bei dem nur die Fassaden echt sind, erinnern 😊 Bei den Ausschneidearbeiten fehlt der obligatorische Stern und die Girlandenfiguren, neu kennengelernt habe ich die „Pustepuppe“, eine Faltschnittfigur aus Pappe mit Ständer, die man über den Tisch pusten kann. (siehe Foto rechts)

„Allerlei Kurzweil“ von Otto Promber (1914)

Vermutlich ist das Buch schon vor 1914 erschienen, denn selbst die Deutsche Nationalbibliothek hat für das Jahr schon die 2. Auflage vermerkt. Das „Spiel und Beschäftigungsbuch für Knaben und Mädchen“ ist eine Sammlung von Spielen, Rätseln, Scherzen und Anleitungen für leichte Bastelarbeiten. Die Inhaltsübersicht verrät schon, dass es sich eher um ein Sammelsurium als um eine systematische Bearbeitung handelt, aber vieles von dem, was dort vor 110 Jahren aufgeschrieben wurde, ist auch heute noch bekannt und aktuelle. Ich zumindest musste beim Anblick der ersten Seite sofort an ein „Handlettering“-Webinar denken, die „Eigenartige Schrift“ ist dort heute gang und gäbe – erstaunt hat mich, dass ich dort wirklich tolle Porträts fand, die aus einem Strich gezeichnet waren, auch das also keine Erfindung unserer Zeit, was mir erst kürzlich klar wurde, als ich in einer Arztpraxis die Ein-Strich-Tiere von Picasso entdeckte. Das, was ich vor Jahren als „Klecksographie“ kennengelernt habe, übrigens mein erster Beitrag in diesem Blog, heißt hier „Klecksomanie“, bezeichnet aber dasselbe – skurrile Muster und Gesichter, die entstehen, wenn man ein Blatt faltet, öffnete, Farbe auf eine Hälfte tropft und dann zuklappt.

Die Suche nach Papierbasteleien wurde dadurch erschwert, dass ich beim Blättern Rätsel lösen wollte oder vergessene Spiele aus meiner Kindheit wiederentdeckte 😊So bin ich noch nicht dazu gekommen, die „Schnurrpfeiferei“ aus einer Papierröhre und einem Papierpfeil nachzufalten. Die Bezeichnungen sind ohnehin ein besonderes Thema in diesem Buch, das, was wir heute Faltschnitt nennen, heißt dort „Papierschnitzereien“ und darunter fallen die Girlandenfiguren ebenso wie die Sterne und Schneeflocken. Die „Ofenschlange“, die ich – ohne das Buch zu kennen – als Schneideübung in einem Buch vorgestellt habe, ok, bei mir war es ein Tannenbaum 😊 – bekommt einen eigenen Abschnitt. Insgesamt wirkt das Buch tatsächlich so, als hätte Otto Promber alles aneinandergereiht, was ihm bei Kindern begegnet ist, das „Verschnüren“ von Friedrich Fröbel heißt hier „Schleifenbilder“ und selbst das Fröbelsche „Erbsenlegen“ wird vorgestellt. Kurzum: Eine Fundgrube, die ich sicher immer mal wieder öffnen werde.

„Kinderspiele und Selbstbeschäftigungen“ von M. Trott (1923)

Ja, tatsächlich, dieses Buch ist von Magda Trott, die ich als Autorin der „Pucki“-Bücher kannte und von der viele die „Goldköpfchen“-Reihe gelesen haben. Das Buch ist vor hundert Jahren im Verlag von Otto Maier in Ravensburg erschienen – Wahnsinn, dass es diesen Verlag schon so lange gibt, oder? Das „Spielbuch für Kinder von 3 bis 7 Jahren“ enthält neben Kreis- und Reim-, Lauf- und Fangspielen auch „Allerlei Selbstbeschäftigungen für Kinder“ und dazu gehört ein Legespiel, das die Kinder sich selbst aus Papier basteln sollen. Flechtarbeiten, die eigentlich Webarbeiten sind, mit Papier werden vorgestellt und die Papiermütze, die ein Schiffchen werden kann, ein gefalteter Pfeil und ein Faltschnitt-„Puppenreigen“.

Sogar „Allerlei Figuren aus Karton“ haben einen Platz in der Sammlung bekommen. Eher selten in einem solchen Buch ist das Thaumatrop „Goldfisch im Glase“, das nichts anderes ist als eine Papierscheibe mit zueinander passenden Zeichnungen auf Vorder- und Rückseite und zwei Bändern. Knuffig finde ich auch den „Photographenapparat aus Karton“, einem Kobold in der Streichholzschachtel 😊 Den Abschluss der Sammlung bildet der Faltschnitt-Stern, der dort als Papierdeckchen beschrieben wird.

„Das Buch der Kinderbeschäftigungen“ von Johanna Huber (1936)

Meine Ausgabe dieses Buch von Johanna Huber (1869-1935) ist die 5. Auflage des Hauptwerkes „Das Buch der Kinderbeschäftigungen“ der Lehrerin, die sich nach dem Ausscheiden aus dem Schuldienst der katholischen Kindergartenpädagogik widmete und sich dabei an den Grundsätzen von Friedrich Fröbel orientierte. Die mir vorliegende Auflage hat sie nicht mehr erlebt, wie der Verleger im Vorwort schreibt: „Über der Fertigstellung des Buches ist die Verfasserin im April 1935 gestorben“ (S.4).

Da die Faltmodelle und die Anleitungen zu den Hexenstiegen, wie sie die Hexentreppen in süddeutscher Manier nannte, und den Fächerfaltungen auch in dem Buch „Lustiges Papierfaltbüchlein“ der Autorin vorkommen, werden diese dort ausführlich beschrieben. Darüber hinaus nehmen Faltschnitte, das Papierflechten und verschiedene Ausschneidearbeiten hier viel Raum ein, Reihenschnitte und Doppelschnitte zum Aufstellen. Mein Lieblingsmodelle aber sind die längs gefalteten Kartenblätter, die in 2 bis 3 Zentimeter Abstand aufgestellt und dann wie Dominosteine umgeworfen werden – so einfach kann Spielzeug sein.

„Geschenke von Kindern“ von C. Babick und L. Heller (1938)

Manche der Anleitungen für Geschenke aus diesem Buch, das im Verlag B. G. Teubner in der Reihe „Kleine Beschäftigungsbücher für Kinderstube und Kindergarten“ erschienen ist, sind für jüngere Kinder sicher eine Herausforderung, die genähte Schlüsseltasche aus Filz zum Beispiel, die gleich neben dem Innentitel gezeigt wird. Aber die „Karton- und Papierarbeiten“ aus dem ersten Kapitel schaffen – notfalls mit Hilfe – auch Kindergartenkinder. Einfach Papiertütenhüte, sorry, sie heißen „Hyazynthenhüte“ 😊 zum Beispiel oder geflochtene bzw. gewebte Lesezeichen. Die abgebildeten Glückwunschkarten aus Faltschnitt werden die Kleinen wohl nicht hinkriegen, aber einfachere Varianten. Das sind neben Mappen, Schachteln und Alben, die eher anspruchsvoll aussehen, die einzigen Geschenke aus Papier, aber es gibt doch immer wieder Neues – 😊 Stichwort: Hyazinthenhüte 😊

„Spielzeug“ von Hans-Friedrich Geist (1938)

Dieses Buch enthält keine Anleitungen, das sei vorweg betont. Aber bei meiner Recherche geht es mir ja auch darum, zu entdecken, wann bereits Faltmodelle in Büchern aufgetaucht sind und in diesem Buch geschieht das auf besondere Weise.

Ich habe mich wirklich ein wenig in die Illustration von Alfred Mahlau verliebt. In einem Bild werden „Papierspielzeuge“ vorgestellt – von Schattentheater über Faltschnitt-Elefanten bis zum Papierdampfer und Faltdeckchen. Selbst die Ritter auf dem Pferd, die auch in dem Unterrichtsfilm zu sehen sind, bekommen hier ihren Raum. Darüber hinaus finden sich Papierspielzeuge in den Kapiteln „23. Ankleidepuppen“ und 36. Drachen, Ballone und Flugzeuge. Das Buch ist eine Schatzkiste für alle, die sich mit Spielzeug vor dem Zweiten Weltkrieg beschäftigen.

„Kleine Geschenke selbst gemacht“ von Lore Puschert (1961)

Dieses Buch ist tatsächlich ein Erbstück, seit ich denken kann, stand das bei uns zu Hause im Bücherregal und das Erscheinungsjahr lässt vermuten, dass meine Mutter oder meine Eltern es nach ihrer Hochzeit angeschafft haben oder auch geschenkt bekamen. An manche Ergebnisse wie die Tiere aus einem mit Bast umwickelten Drahtgestellt meine ich mich finster zu erinnern, hier findet sich übrigens das Pendant zu den „Ein-Strich-Porträts“ aus dem „Kurzweil“-Buch – Ein-Draht-Porträts, die ich in meiner Familie jedoch nie gesehen habe.

Allerdings gab es Mobiles mit Papiervögeln, Engel aus Goldpapier zu Weihnachten und immer Tischkarten wie sie im Kapitel „Papier und Pappe“ vorgestellt werden. Erst kürzlich fand ich die Tischkarten, die meine Mutter zu einem runden Geburtstag gebastelt hatte! Zugegeben, Faltmodelle gibt es auf den 108 Seiten nicht, bis auf den Faltschnitt aus Goldpapier zu Weihnachten 😊, damit hat das Buch es dann doch noch in diesen Beitrag geschafft, aber eigentlich, weil es das Bastelbuch ist, das mein ganzes Leben begleitet hat, zwar kein papierenes, aber doch ein gutes Argument, oder?

„Sockendackel und Papierschmetterling“ von Éva Gaál (1973)

Ok, dieses Buch ist jünger als ich, aber es ist auch schon 50 Jahre alt und vor allem konnte ich es als Kind nicht lesen, weil es in Ungarn erschienen ist und die deutsche Fassung nur in der DDR vertrieben wurde. Gerade deshalb musste ich es bestellen, als ich es in einem Online-Antiquariat entdeckte. Meine Vermutung, dass es sich um ein Bilderbuch über einen Sockendackel und Papierschmetterling handelt, bestätigte sich zwar nicht, aber ich bin dennoch begeistert, weil ich hier gebasteltes Spielzeug wiedergefunden aus meiner Kindheit wiedergefunden habe – vor allem die Puppen aus Wolle. Daneben werden einige Bastelarbeiten mit Papier vorgestellt: eine Schubladenschachtel, ein Lampenschirm, der sogar gefaltet ist, ein Fotobehälter, den man auch Fotofächer nennen könnte 😊 – die Anleitung zeigt aber, dass es auch in der DDR Musterklammern gab, eine Jumboschachtel, also ein aus einer Schachtel gefalteter Elefant – das hat mich nun gewundert, dass „Jumbo“ für Elefant oder für groß auch im östlichen Teil Deutschlands bekannt war.

Ein Fotoständer aus Papier sorgt dafür, dass Bilder gut präsentiert werden und dann ist das noch der Papierschmetterling, der aus Papierstreifen hergestellt wird – heute würde man diese Technik Quilling nennen, zumindet ist es eine Variante davon, aber die Seite sieht einladend aus, oder?